LCTE EW: Wiederverwendung von Rapier-Komponenten zu Trainingszwecken
Das Fliegerabwehrsystem Rapier, das in den 1980er-Jahren in die Schweizer Armee eingeführt wurde, hat im Laufe der Zeit an militärischer Bedeutung verloren. Mit der Armeebotschaft 2020 hat das Parlament beschlossen, das System ausser Dienst zu stellen. Anstatt es ganz auszumustern, wurde beschlossen, Teile des Systems für Trainingszwecke weiterzuverwenden. Im Mittelpunkt steht das Suchradar des Rapier-Systems, das künftig bodengestützte Bedrohungen für Trainingsflüge simulieren und so die Ausbildung von Kampfflugzeug- und Helikopterbesatzungen verbessern soll.
Text: Kommunikation Verteidigung, Nadine Schröder
Bilder: VBS/DDPS
Markus Kleist, Chef Rüstungsplanung der LW, gibt im Interview über das Projekt LCTE EW (Low Cost Trainings Emitter Electronic Warfare) Auskunft.
Was war der Auslöser für das LCTE-EW-Projekt und wie wurde die Idee zur Umnutzung des Rapier-Systems entwickelt?
Anlässlich eines Workshops zwischen der Luftwaffe und armasuisse Wissenschaft + Technologie (kurz ar W+T) ging es darum, Themenbereiche zu definieren, in denen ar W+T zugunsten der Luftwaffe aktiv forschen und zu deren Weiterentwicklung beitragen kann. Daraus entstand unter anderem das Konzept für den LCTE EW. Das System soll aus Komponenten des Rapier-Systems zusammengestellt und entsprechend den Bedürfnissen der Luftwaffe angepasst werden.
Wie wird das Rapier in das LCTE-EW-Projekt integriert? Welche technischen Anpassungen sind notwendig?
Bei ar W+T ist heute ein (Labor-)Demonstrator-System vorhanden, in das die Rapier-Komponenten nun kompakt und kostengünstig integriert werden. Zur Realisierung des LCTE EW wird das Suchradar des Rapier-Systems modifiziert. Folgende Abänderungen sind zentral:
- Modifikation des Radarsenders (Änderung der Signalerzeugung und der Filter);
- Ersatz der originalen Steuer- und Radarrechner durch einen modernen Industrie-PC;
- Ersatz des originalen Bediengeräts durch ein modernes, robustes Touchpanel;
- Modifikation der Stromversorgung.
Mit dem System können die drei Signale erzeugt werden, die den Pilotinnen und Piloten beim Training in der Plattform (F/A-18 und Super-Puma) angezeigt werden. Diese sind:
- Search-Radar (Suchradar);
- Track-Radar (Verfolgungsradar);
- Guidance-Radar (höchste Bedrohung durch anfliegende Lenkwaffe).
Mit dem LCTE-EW-System geht es darum, mit einem auf die Bedürfnisse der Luftwaffe angepassten System die Bedrohung durch ein gegnerisches, bodengestütztes Luftabwehrsystem (GBAD – Ground Based Air Defense) darzustellen. Der LCTE EW ist auf die Verteidigung ausgerichtet. Trainingsmöglichkeiten im Bereich der elektronischen Kriegsführung sind in der Zukunft unabdingbar.
Wie profitieren die Besatzungen konkret von der neuen Trainingsmöglichkeit durch das LCTE-EW-Projekt?
Mit dem LCTE EW wird ein einfach simuliertes BODLUV-System geschaffen, mit dem Helikopter- und Jetbesatzungen im Umgang mit ihren jeweiligen Selbstschutzsystemen trainiert werden können. Sie lernen, Bedrohungen vom Boden mit taktischen Manövern oder durch Geländedeckung auszuweichen. Der LCTE EW ermöglicht es uns, in unserem eigenen Umfeld und unserer Topografie zu trainieren.
Welche Vorteile bietet das LCTE-EW-System speziell für die Ausbildung der Luftwaffe im Vergleich zu anderen Trainingssystemen und wie realistisch sind die simulierten Bedrohungsszenarien?
Die Weiterverwendung bietet mehrere Vorteile: Zum Beispiel handelt es sich um eine kompakte, effiziente Lösung, da alle Systemkomponenten auf einem fahrbaren Anhänger Platz haben, in kurzer Zeit auf- und abgebaut und mittels Touchpanel bedient werden können. Somit benötigt die Handhabung auch weniger personelle Ressourcen, ist flexibel und mobil einsetzbar und trägt zu einer erheblichen Verbesserung des Trainingseffekts bei. Weiter dient der LCTE EW dem Wissensaufbau und der Forschung bei ar W+T für zukünftige Anwendungen (und mögliche Beschaffungen).
Auf welche Herausforderungen trafen Sie bei der Umnutzung?
Die grösste Herausforderung war es, Teile des Rapier-Systems aus einem laufenden Ausserdienststellungsprozess herauszulösen, da Ausserdienststellungen (AdS) vom eidgenössischen Parlament bewilligt werden müssen. Die erforderlichen Abklärungen haben gezeigt, dass es rechtlich möglich ist, Teile (oder ganze Systeme) trotz Genehmigung zur Ausserdienststellung weiterzuverwenden.
Wie schnell kann das LCTE-EW-Projekt der Luftwaffe zur Verfügung gestellt werden und wie hoch schätzen Sie die (langfristigen) Kostenersparnisse ein?
Wir gehen davon aus, dass das System der Luftwaffe ab dem 2. Quartal 2025 für die Trainings zur Verfügung steht. Signifikante Einsparungen lassen sich bei der Bereitstellung des LCTE EW im personellen Bereich erzielen. Die Trainingsräume, die wir für diese Art von Trainings benötigen, sind in Europa nur in sehr geringer Anzahl (Norwegen, Schweden, England) vorhanden und mehrheitlich für den Eigenbedarf ausgebucht. Weiter sind EW-Trainings im Ausland um einiges teurer als die Aufwendungen für den LCTE EW.
Welche Rolle spielt das LCTE-EW-Projekt im Gesamtkonzept der Ausbildung der Luftwaffe? Wird es in ein grösseres Trainingsprogramm integriert?
Wir gehen davon aus, dass unser LCTE-EW-System auch im Ausland auf Interesse stossen wird. In diesem Kontext wird es uns, im Rahmen von Kooperationen, allenfalls die Möglichkeiten bieten, Zugang zu ausländischen Trainingsprogrammen zu erhalten.
Denken Sie, dass sich das Konzept der Umnutzung älterer Systeme auf andere Bereiche der Armee übertragen lässt?
Aufgrund der Erfahrungen mit dem LCTE EW würde ich es begrüssen, wenn auch andere Anwendungen, die ausser Dienst gestellt werden, für andere Zwecke weiterverwendet werden können. Persönlich sehe ich einen Bedarf in der Weiterverwendung von Luftfahrzeugen im Bereich der Luftfahrzeugbrandbekämpfung, der Luftfahrzeugbergung sowie der Ausbildung von Instandhaltungspersonal der Luftwaffe. Mit der Verwendung von Luftfahrzeugen, die nicht mehr genutzt werden, lassen sich die zwingend erforderlichen Trainings, Übungen und Ausbildungen realitätsnah absolvieren.
Seit dem 1. April 2023 leitet Markus Kleist als Chef Rüstungsplanung und stellvertretender Chef Planung-Projekte-Versuche die Planung und Umsetzung der Rüstungsprojekte der Luftwaffe. Seine Laufbahn begann am 1. März 1991 beim Bundesamt für Militärflugplätze in Interlaken und setzte sich ab dem 1. Januar 1996 in Bern fort, wo er als Ingenieur/Projektmanager für Flugplatzmaterial und Fahrzeuge tätig war. Heute bringt er als Mitinitiator der Innovation LCTE EW sein umfassendes Fachwissen in die Entwicklung zukunftsweisender Projekte der Luftwaffe ein.



